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<p><strong>Haushaltsrede der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen anläßlich der Verabschiedung des Haushaltes in der Ratssitzung am 4. April 2000</strong></p>
<p>Frau Bürgermeisterin, Herr Kämmerer, meine Damen und Herren !</p>
<p><br />Wir wollen uns in diesem Jahr dem vor uns liegenden und zu verabschiedenden Werk von der musikalischen Seite nähern. Nicht, dass wir uns anheischig machten, unsere Haushaltsanmerkungen gesanglich im Quartett vorzutragen – diesen Genuss möchten wir Ihnen zumindest heute vorenthalten oder ersparen – je nachdem.</p>
<p>Die heutige Aufführung ist eine echte Premiere, entsprechend gespannt und erwartungsvoll das Publikum. Dargeboten wird die Opera buffa e seria "Ute im Wunderland" in C-DUr, Schreyer-Verzeichnis 1, Opus 1 für üppig ausgestattetes schwarzes Pauken- und Trompeten-Ensemble – in Fachkreisen wird von einer eindeutigen Überbesetzung gesprochen - , für rotes Schrumpforchester, grünes Streichquartett sowie gelben Solisten.</p>
<p>Das Libretto ist rasch nachgezeichnet: Alle 5 Jahre bricht in einer Rheinberger Wohngemeinschaft Streit darüber aus, wer im Haushalt das Sagen hat. Im ersten Akt vergeigt bei einem unerwünschten Gastspiel ein rot-grünes Panikorchester aus dem fernen Berlin den Einsatz von Klaus B. (bisheriger Generalbass) und verhilft völlig überraschend Ute S. (mezzoschwarzer Sopran) zum Haushaltsvorsitz. Trotz vorgesehener Aria lacrimosa geht Klaus B. nach dieser Schmach sang- und klanglos ab. Ute S. installiert ein feministisches Regiment und intoniert alle ihre Auftritte von nun an mit "Meine sehr geehrten Herren und Damen".</p>
<p>Im zweiten Akt gibt das schwarze Pauken- und Trompeten-Ensemble die Tempusbezeichnung vor. Im Prestissimo wird für alle Blech-Fans ein Scherzo für Blechbläser vorgetragen, zu dem Stefan F. (Falsett) das Hohelied des Parkens auf dem Markt schmettert. Mit einem Paukenschlag wird anschließend zum Chor der Schwarzen übergeleitet, der in volkstümelnder Weise den Titel "Warum ist es im RIZ so schön" vorträgt. Diese musikalischen Ergüsse gehen dem grünen Streichquartett erheblich gegen den Strich, weswegen es andere Hausbewohner mit Unterschriften mobilisiert, um diesen Teil der Partitur wieder zu streichen.</p>
<p>Eine Wendung erfährt das Binnenleben der Wohngemeinschaft durch den Bedarf an einem neuen Fortbewegungsmittel. Im Tutti wird die "Ode an das Mobile Informations-Zentrum - MIZ" vorgebracht, begleitet vom hinterherhechelnden roten Schrumpforchester im Mizzicato-Stil.</p>
<p>Der dritte Akt wird dominiert vom Kammer- (oder heißt es richtiger Kämmerei-?) Sänger Theodoro M. (ausgeglichener Tenor). In seiner großen Haushaltseinbringungs-Arie preist er in hymnischer Form ein Haushaltsleben in Bescheidenheit. Den vierstimmig forte e subito vorgetragenen Haushaltsforderungen setzt er als Kontrapunkt ein kanonisiertes "ma non troppo" entgegen.</p>
<p>Im abschließenden Finale grande e vivace tritt der vierstimmige Chor der Haushaltssänger hervor, instrumental begleitet von Schalmei und Standpauke. In fugierter Form preist jeder Vortragende die Tugend und Stimmigkeit seines Vortrags, beklagt jedoch zugleich den dissonanten Ansatz seiner Mitstreiter.</p>
<p>In diesem Finale befinden wir uns derzeit. Nachdem meine beiden Vorsänger so weitgehend in Harmonien geschwelgt haben, wird es Zeit für einen Beitrag con spirito risoluto.</p>
<p>Der Haushalt 2000 ist erneut ein Rekord-Haushalt. Sowohl im Verwaltungs- als auch im Vermögenshaushalt setzt die Stadt Rheinberg in diesem Jahr so viel Geld wie noch nie um. Das Gesamtvolumen beläuft sich auf mehr als 130 Mio DM. Ist dieser Riesenbatzen Geld wirklich für Rheinberg notwendig, oder handeln Rat und Verwaltung gar unverantwortlich nach dem Motto: Cosi fan tutte?</p>
<p>Möglich wird die Gesamtausgabe nur durch eine üppige und großenteil unerwartete Rücklagenbildung von nahezu 22 Mio DM sowie einer Kreditaufnahme von fast 5,3 Mio DM. Nachdem 1996 – 98 gar ein unausgeglichener Haushalt drohte, in der Haushaltssicherungskommission jede Mark zweimal umgedreht werden musste und etliche Ansätze gekürzt oder gestrichen wurden, ist in diesem Jahr dieser Druck nicht da. Dies lässt sich am besten an der Rücklagenentnahme ablesen. Großzügige 12 Mio DM werden mit diesem Haushalt gleich wieder verzehrt. Doch vor der Schelte, hier werde ein Vorrat für die nächsten Jahre gleich wieder verfrühstückt, sollte man sich die Ansätze auf ihre Notwendigkeit genauer ansehen.</p>
<p>Im Wahlprogramm der Rheinberger Bündnisgrünen zur letztjährigen Kommunalwahl war eine wichtige Forderung die Umgestaltung der Verwaltung zu einer verstärkt bürgerfreundlichen Serviceeinrichtung. Ein konkreter Vorschlag war die Einrichtung eines mobilen Bürgerbüros. Die Verwaltung sah dies genau so, und so konnte schließlich –unisono– ein Ansatz von 200 TDM für das Mobile Informations-Zentrum gebildet werden. Diese Summe ist kein Pappenstiel, und es sollten Wege z.B. über das angedachte Sponsoring gesucht werden, die Ausgabe zu verringern. Wenn von einem bürgernäheren Service jedoch nicht nur gesprochen werden soll, ist gerade in einer Flächengemeinde wie Rheinberg ein solch flexibel einsetzbares Angebot "Verwaltung auf Rädern" sinnvoll.</p>
<p>Dies lässt sich von dem ergänzenden CDU-Vorschlag, dem "RIZ", nicht sagen. Gegen den Kiosk-ähnlichen Stadthaus-Ableger neben dem Alten Rathaus haben sich viele BürgerInnen ausgesprochen. Innerhalb von 3 Wochen hat unsere Fraktion mehr als 1000 Unterschriften gegen diesen überflüssigen und unpassenden Entwurf gesammelt. Nachdem jetzt auch die Denkmalbehörde sich dagegen ausgesprochen hat, hoffen wir, dass das Thema vom Tisch ist. Der CDU ist durchaus zuzustimmen, dass sie jetzt mehr Verantwortung für das Gesamtwerk trägt, um es wieder in musikalischen Termini auszudrücken, doch müssen Einsatz und Tempi stimmen, soll das Oeuvre nicht mit Pauken und Trompeten durchfallen. Besser also MIZ statt RIZ.</p>
<p>Weitere sinnvolle, aber auch kostenträchtige Service- bzw. Dienstleistungseinrichtungen, die in diesem Jahr begonnen oder vollendet werden, wie das Feuerwehrgerätehaus oder der Baubetriebshof, seien hier nur genannt.</p>
<p>Es wird jedoch nicht nur in neue Projekte investiert. Die vorhandenen städtischen Gebäude bedürfen ebenfalls eines finanziellen Einsatzes zur Sanierung und Aufwertung. Unsere Fraktion begrüßt nachdrücklich, dass für die Modernisierung von städtischen Wohnungen mehr Mittel angesetzt worden sind. Ich scheut mich fast, von Modernisieren zu reden, wenn ein normaler Standard mit Zentral- oder Etagenheizung jetzt erst hergestellt werden soll. Hier sehen wir nicht nur in diesem Jahr Handlungsbedarf.</p>
<p>In die Jahre gekommen ist auch das Stadthaus mitsamt Halle. Diesem Umstand hat unsere Fraktion schon im vergangenen Haushalt versucht Rechnung zu tragen, indem wir 80 TDM für neue Tontechnik durchsetzen konnten. Diese Mittel sind von der Verwaltung schlicht nicht abgearbeitet worden, was in unserer Fraktion als deutlicher Misston angekommen ist, zumal damit unsere Absicht konterkariert wurde, in diesem Jahr weitere 80 TDM für die Erneuerung der Lichttechnik einzustellen.</p>
<p>Auch beim ZUFF ist die Lage ähnlich, die Technik veraltet. Damit wäre ich beim Schwerpunkt Maßnahmen für Kinder und Jugendliche. Die Kooperation mit der Volksschule Moers ist vertraglich in trockenen Tüchern, der Betrieb gerade angelaufen. Was fehlt, ist die Sanierung von Gebäude und Einrichtung. Dies ist, neben einem attraktiven Angebot und kompetenten zupackenden Mitarbeitern, eine Grundbedingung für Akzeptanz und mithin Erfolg des neuen ZUFF. Entsprechende Mittel dafür sind erst ab dem nächsten Jahr vorgesehen. Zu spät?!</p>
<p>Tempo ist dagegen in die Ausrüstung der Schulen mit modernen PC gekommen. Nicht nur der Verwaltungsbereich wird davon profitieren, durch ein Zusatzprogramm der Landesregierung werden für die SchülerInnen in Rheinberg insgesamt rund 112 TDM für Computer zur Verfügung stehen, um sie fit zu machen für das zentrale Medium der Zukunft.</p>
<p>Bei den baulichen Maßnahmen für Schulen ist beim Schulzentrum in diesem Jahr neben der Fortsetzung der Sanierung des naturwissenschaftlichen Unterrichtsbereichs besonders der Beginn der Erweiterung hervorzuheben. Erwähnen will ich auch, dass auf unseren Vorschlag die Grundschule Ossenberg schon in diesem Jahr die dringend notwendige Fahrradständer-Anlage erhält.</p>
<p>Freuen können sich in diesem Jahr die kleinen Nutzer von Spielplätzen. Mit hoher Landesförderung sollen in den nächsten Jahren 13 Kinderspielplätze naturnah umgestaltet werden, vier werden es in diesem Jahr sein mit einem Ansatz von 600 TDM.</p>
<p>Warten müssen dagegen die Kinder in Eversael. Ein Areal ist endlich vorhanden, ein Startkapital von rund 23,5 TDM ist durch Spenden zusammengekommen, doch wird es vorerst nichts mit der Umsetzung. Bei im Investitionsprogramm projektierten 173 TDM Gesamtkosten ist es völlig unrealistisch, ohne städtische Mittel diese Maßnahme zu verwirklichen. Woher sollen weitere Spenden kommen, auf die die Verwaltung setzt? Auch der Einsatz von Vereinen wird die Differenz nicht entscheidend vermindern. Dennoch ließ unser Antrag, das Startkapital auf 50 TDM aufzustocken, noch genügend Spielraum für privates Engagement. Nach der Ablehnung des Vorschlag durch die anderen Fraktionen droht eine neue “Unendliche Geschichte• zu entstehen, anders als bei Michael Endes Werk jedoch hier zum Leidwesen der Kinder.</p>
<p>In den Brennpunkt öffentlichen Interesses sind die Grünanlagen gerückt. Die Wallpromenade in Orsoy ist im Bereich des alten ev. Friedhofs umstritten. Die Berücksichtigung bereits vorhandener Wege würde nicht nur dem Naturschutz entgegenkommen, sondern vielleicht auch den finanziellen Aufwand etwas reduzieren helfen.</p>
<p>Die Aufwertung des Stadtparks soll in 2000 Gestalt annehmen. Dafür sind erste 300 TDM angesetzt worden. Die Debatte um Verschönerungsmaßnahmen wird jedoch zusehends und unangemessenerweise von der Parkplatzfrage überlagert. Diese ist wichtig, ohne Zweifel, sie hat sich jedoch nach unserer Auffassung den Ansprüchen, die aus einer Stadtparkgestaltung erwachsen, unterzuordnen.</p>
<p>Es ist nicht zu verkennen: Die Folgewirkungen des Autoverkehrs lasten schwer in den Köpfen von Politikern und auf dem Stadtsäckel. Das zeigt nicht nur die Diskussion um die Parkplätze im Park und auf dem Markt, das zeigen auch nachsorgende Verkehrsberuhigungsmaßnahmen sowie der wachsende Unterhaltungsaufwand für Straßen. Sicher hat sich in den vergangenen haushaltsklammen Jahren ein gewisser Sanierungsüberhang aufgebaut, doch den Ansatz für die Wirtschaftswege gleich zu verdreifachen, geht uns zu weit.</p>
<p>Direkt und indirekt beeinflusst die Stadt Rheinberg den Arbeitsmarkt; indirekt, indem sie Industrie- und Gewerbeflächen erschließt und besiedelt, wie dies in diesem Jahr wieder mit dem IGP Xantener Straße oder mit dem Kooperationsprojekt Genend geschieht. Auch die stattliche Summe für Investitionen und Investitionsfördermaßnahmen von fast 22 Mio DM hilft, Arbeit zu schaffen.</p>
<p>Die Stadt ist aber auch ein großer direkter Arbeitgeber. Damit bin ich beim Personaletat. Unter Sparzwang galt und gilt er als der Haushaltsbereich mit dem größten Sparpotenzial. In der Tat: Wer das Zusammenstreichen von Haushaltstiteln einmal mitgemacht hat, bei dem nur jeweils einige Hundert oder Tausend DM zusammenkamen, der wird zugestehen, dass sich mit Personalabbau wesentlich größere Spareffekte erzielen lassen.</p>
<p>Andererseits lässt sich nicht übersehen, dass die Leistungsverdichtung und –zumutung bei den MitarbeiterInnen eine Grenze hat, jenseits derer die Qualität der Arbeit leiden muss. Unsere Fraktion hat daher in den vergangenen Jahren immer wieder vor dem Sparen beim Personal als Selbstzweck gewarnt. So betont auch der Kämmerer im Vorbericht zum Haushaltsplanentwurf, dass dem Abbau von Stellen "Grenzen gesetzt sind, wenn es um die Erfüllung von Aufgaben geht". Heute arbeiten rund 40 MitarbeiterInnen weniger in der Verwaltung als noch 1991.</p>
<p>Im Stellenplan für 2000 sind 5,4 Stellen mehr ausgewiesen als noch im Vorjahr. Ist damit eine Trendwende vollzogen? Dafür müssten die Einsatzbereiche für die neuen Stellen genauer betrachtet werden. Wir unterstützen die Einstellung eines Gärtnermeisters, wie von der CDU gefordert. Auch die Fortführung der Maßnahme für teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter am BBH findet unsere Zustimmung. Aus diesem weiterqualifizierten Mitarbeiterstamm sollte nach unseren Vorstellungen bei Bewährung ein Mitarbeiter vollzeit eingestellt werden. Die von uns wesentlich mitgetragenen nunmehr zweijährigen Bemühungen, den Bereich der ehemaligen Gärtnerei personell aufzustocken, um die Grünpflege in der Stadt zu verbessern, hat immer noch nicht zu einem Erfolg geführt. Waren 1998 de facto 19 Beschäftigte in diesem Bereich tätig, so sind es heute 20, trotz Nachbesetzungen über die letzten Haushalte. Leider wurde unserem Antrag nicht gefolgt, ebensowenig dem Vorschlag, eine halbe Stelle für einen Energieberater auszuschreiben. In der Stadt Rheinberg fehlt die Koordinierung von Energieeinsparmaßnahmen, weswegen trotz einiger positiver Einzelmaßnahmen eine Änderung des Verbraucherverhaltens nicht eingetreten ist. Was fehlt, ist ein Ernergiemanagementkonzept mit einer entsprechenden fachlichen Begleitung.</p>
<p>Fazit: Das meiste in diesem Haushalt ist, wie in all den Jahren zuvor, zwischen den Parteien unstrittig. In einigen für uns wichtigen Punkten haben wir unsere Vorstellungen allerdings nicht durchsetzen können. Deshalb lehnen wir diesen Haushalt ab.</p>
<p>Dank sagen möchte ich dem neuen Kämmerer und seinen MitarbeiterInnen für die ausgezeichnete Vor- und Zuarbeit, die nahtlos an das hohe Niveau, das der vorige Kämmerer geprägt hatte, anschlossen.</p>
<p>Abschließend noch einmal zurück zu unserer Unvollendeten. In einem letzten Solo hebt Kämmerei-Sänger Theodoro M. warnend den Zeigefinger und zeigt dem Haushalts-Rat mit seiner bewegenden Arie: "Das gab’s nur einmal, das kommt nicht wieder" das Ende der Haushaltsreserven auf. Wegen Missfallens an einigen entscheidenden Ecksätzen steigt das grüne Streichquartett aus dem Haushaltswerk aus, verschafft sich mit Gitarren und Schlagzeug ein moderneres Instrumentarium und verkündet hart-rockend den Grund für sein Nein zum Haushalt: "We can’t get no satisfaction".</p>
<p>Überhaupt scheint der antiquiert wirkende Aufführungsstil nichts für die junge Generation zu sein. Diese ansonsten so umworbene Altersgruppe findet sich nicht im Publikum. Vielleicht könnte ein Haushaltsvortrag im Rap-Stil für Interesse sorgen, z.B. mit dem effektvollen Titel: Wadde mache dudde da?</p>