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Haushaltsrede der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
anlässlich der Verabschiedung des Haushaltes
in der Ratssitzung am 29. April 2010
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
meine Damen und Herren!
Schöne neue Welt! Wir sind mit allem und allen vernetzt, rufen als neuzeitliche Prosumer über die Cloud unsere digitalen Daten ab, und durch Push-eMails, Twitter und Co. werden wir nahezu in Echtzeit über Wichtiges wie Unwichtiges in Kenntnis gesetzt.
Hintergrund dafür ist das Web 2.0. Es steht seit einigen Jahren für eine neue Versionsnummer des Internets, das mit aufgefrischten Inhalten und Möglichkeiten aufwarten soll. Da werden via „Cloud computing“ Programme quasi aus einer über uns liegenden Informations-„Wolke“ bereitgestellt, da wird die Rolle des Nutzers erweitert vom klassischen Konsumenten zum Mitproduzierenden, dem sogenannten „Prosumer“, da entstehen soziale Netzwerke und interaktive Plattformen, die uns rund um die Uhr bezwitschern – um den Anglizismus „twitter“ mal zu vermeiden.
Schauen wir uns nun an, aus welchem Stoff unser Rheinberger Haushalt ge“web“t ist. Auf den ersten Blick mutet er wesentlich fortgeschrittener an. Immerhin sind wir schon bei seiner Version 20.10 angelangt. Und mit TUIV, Bos-Funk, K II, JeKi oder SWPA – die Liste ließe sich beliebig fortschreiben - lässt er spielend die eh schon kryptische Welt des Internets hinter sich.
Aber es gibt auch eine Reihe von Analogien zum Web 2.0. Seit seinem NKF-Neustart wirkt er merkwürdig wolkig-un(be)greifbar; seine gesammelten Daten wurden uns zwar noch ganz konventionell in Papierform gereicht, doch deren Aktualität unterlag manchmal den nervösen Verfallszeiten von Twitter-Meldungen.
Wesentlich interaktiver sollte NKF das Verhältnis von Verwaltung und Politik gestalten – vom kameralen Datenkonsumenten zum doppischen Gestalter von Haushaltsabläufen sollten die Politikerinnen und Politiker sich wandeln.
Was daraus geworden ist, ließ sich schon im letzten Jahr erkennen, und es ist kaum ein Fortschritt zu verzeichnen. Verbesserte Transparenz: Wir sehen sie allenfalls in Ansätzen. Verbesserte Steuerungsmöglichkeiten: Dito. Aber ich will hier keine Fortsetzung der Philippika des letzten Jahres starten, wir hatten in diesem Jahr ganz andere Sorgen.
Die Auswirkungen der Weltfinanz- und Weltwirtschaftskrise trafen mit Verzögerung die Haushalte auf allen Ebenen unseres Gemeinwesens, und da bekanntlich den Letzten die Hunde beißen, traf es die Kommunen besonders hart. Es war ja vorhersehbar: Nachdem der Krise mit vielen Milliarden zusätzlicher Euro in traditionell keynesianischer Weise begegnet wurde, müssen die aufgerissenen gigantischen Haushaltslücken nun irgendwie geschlossen werden. Und das heißt auf gut Deutsch einsparen - oder Lasten auf andere verschieben.
Dass es so kommen würde, war eigentlich allen Beteiligten klar. Nur in einem liberalen Paralleluniversum existierten diese Probleme nicht, und man meinte dort, munter weitere Gelder in Form von Steuergeschenken ausgeben zu können. Inzwischen gibt es aber selbst da erste Anzeichen für die Einsicht in die Notwendigkeit eines Programmupdates.
In Rheinberg wie in vielen anderen Kommunen ist jetzt Haushaltskonsolidierung angesagt. Eine entsprechende Arbeitsgruppe hat getagt, um Einsparmöglichkeiten auszuloten. Nun sind Einsparungen leicht eingefordert, doch haben sie weitreichende und vielfach unliebsame und unbeliebte Konsequenzen. Bei neuen Investitionen ist es noch vergleichsweise unproblematisch; Maßnahmen lassen sich in manchen Fällen zeitlich strecken oder verschieben. Bedeutet Sparen allerdings ein Reduzieren von liebgewonnenen Leistungen, dann tut sich die Politik bekanntermaßen schwer damit; wer möchte schon seine WählerInnen vergraulen?
In Rheinberg ist mit der Haushaltskonsolidierung nach dem erwartbaren Muster verfahren worden: Einiges verschieben, Weniges streichen. Ob das reichen wird, um den Rheinberger Haushalt nachhaltig zu sanieren, wage ich zu bezweifeln. Trotz aller beruhigenden Verlautbarungen der Wirtschaftsklimaindex-Auguren und anderer hoch dotierter Kaffeesatzleser: Der Haushalt 2011 dürfte nicht minder große Probleme bereithalten.
Sparen ist allerdings auch kein Selbstzweck. Wenn kommunale Selbstverwaltung überhaupt noch Sinn machen soll, dann müssen auch Prioritäten gesetzt werden können.
Für uns Grüne bedeutete dies in den Haushaltsberatungen: Die Bereiche Erziehung, Bildung sowie Umwelt und Nachhaltigkeit genießen Priorität; hier werden die Weichen für die Zukunft gestellt, deshalb sollen dort keine Abstriche vorgenommen, vielmehr investive Schwerpunkte gesetzt werden.
Da wäre zum einen der Neubau der Kita St. Nikolaus Orsoy. Mit 720.000 Euro ein wahrlich dicker Brocken, aber die Maßnahme ist unverzichtbar wegen des Zustands des jetzigen Altbaus.
Unverzichtbar ebenso eine gute Ausstattung der Schulen mit moderner Medientechnik. Hier wäre für die Zukunft aber interessant, die gewünschten Standards mit den jeweiligen Schulen zu diskutieren.
Unverzichtbar für uns in diesem Jahr auch die Unterstützung der Eltern bei den Kita-Beiträgen. Da wir alle um die Bedeutung des frühen Kindesalters für die Entwicklung geistiger und sozialer Fähigkeiten wissen, ist das sicher für die Zukunft gut investiertes Geld.
260.000 Euro lassen wir uns diese freiwillige Maßnahme kosten. Eigentlich wäre hier das Land gefordert, doch anders als in anderen Bundesländern gab und gibt es da von der hiesigen CDU/FDP-Koalition keinerlei Anzeichen, dass man sich dieser Aufgabe widmen würde.
Mal abgesehen davon, dass diese Leistungsverweigerung der jetzigen Landesregierung höchst kritikwürdig ist: Können wir es uns leisten, dauerhaft für das Land einzuspringen, zumal in höchst angespannter Haushaltssituation? Ich mache da ein dickes Fragezeichen, zumindest was die Höhe dieser freiwilligen Leistung in den nächsten Jahren betrifft.
Die energetische Modernisierung der Straßenbeleuchtung wird insgesamt über die nächsten Jahre verteilt deutlich über eine halbe Million Euro kosten, wir denken aber, dass dies vernünftig angelegtes Geld ist, da wir langfristig auf diese Weise Energiekosten einsparen können. Ein positives Beispiel für eine nachhaltige Investition.
Der Terra-Zoo soll auch in diesem Jahr einen rein städtischen Zuschuss in Höhe von 21.000 Euro erhalten. Wegen der Bedeutung dieses Angebots für den Tourismus ist das für uns gut vertretbar.
Vertretbar ist für uns auch der Abriss der Obdachlosenunterkünfte an der Berkevoortshofstraße. Mit Kosten von 80.000 Euro kein Pappenstiel, aber ein längere Zeit leer stehendes Gebäude ist problematisch.
Zu hoch angesetzt ist nach unserer Meinung der Betrag für die Wirtschaftswegesanierung mit 100.000 Euro. Die Hälfte davon genügt sicher, vor allem vor dem Hintergrund, dass an anderer Stelle im Verkehrsbereich der harte und lange Winter höhere Instandsetzungskosten verursachen dürfte.
Apropos Winter: Zur Beseitigung von Schnee und Eis sind exorbitant hohe 290.000 Euro veranschlagt, wohlgemerkt schon verursachte Kosten. Das ist uns deutlich zu hoch, im Winterdienst müssen andere Gewichtungen vorgenommen werden: mehr Schneeräumen, weniger Salzeinsatz.
Absolut entbehrlich dagegen der Kinderbaulandbonus. Seit seiner Einführung durch FDP und CDU haben wir darauf hingewiesen, dass dies eine Maßnahme allein für privilegierte Familien ist. Ihren Zweck der Familienförderung erfüllte sie somit nur unzureichend und mit einem krassen sozialen Misston. Gut also, dass sie ausläuft.
Dass ungewöhnliche Zeiten auch eine Überprüfung bisheriger Standards erfordern, beim Kinderbaulandbonus funktioniert es. Wo aber die großen Fraktionen unverständlicherweise kneifen, das ist bei der Innenstadtsanierung, Teil 1. Die sogenannte Skaterkuhle neben dem Alten Rathaus ist zu einem Lehrstück für das Unvermögen geworden, eigene Beschlüsse noch einmal kritisch zu überdenken. Augen zu und durch, heißt die Devise, mag es auch noch so wenig Verständnis in der Bevölkerung für diese Maßnahme geben. 40.000 Euro allein für einen Baumtausch, dessen Sinn außer einer eisernen Allianz hier im Rat kaum einer nachvollziehen kann, zumal bei einem so hohen Defizit in unserem Haushalt. Dazu noch die Mehrkosten für das vom Ursprungsentwurf abweichende Betonpflaster. Luxusausgaben, und dazu zählen die vorgenannten sicherlich, verbieten sich in unserer Finanzlage eigentlich von selbst.
Kein gutes Gespür für die Zeichen der Zeit hatten die großen Fraktionen auch gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode gezeigt. Zwei zusätzliche Ausschüsse mussten her, völlig überflüssig in unseren Augen: Mehrkosten deutlich über 3.000 Euro. Auch höhere Fraktionszuwendungen wurden beschlossen, Folge: 3.000 Euro Mehrausgabe.
Das alles sind keine gewaltigen Beträge, sanieren lässt sich ein Haushalt dadurch natürlich nicht, aber unsensibel ist es allemal, wenn man an anderer Stelle Verständnis für Einsparungen oder zusätzliche Belastungen erwartet.
In diesem Jahr aber hat sich die Politik noch um wirklich unpopuläre Maßnahmen gedrückt. Das Schicksal der Kleinschwimmhalle Borth wurde vertagt, ebenso Beschlüsse zum Sportzentrum in Ossenberg, der behindertengerechte Fahrgaststeiger in Orsoy ist auf Wiedervorlage, das Thema „Steuern“ wurde gänzlich ausgeklammert, wird aber wohl noch im Verlauf des Jahres angepackt. Mal sehen.
All das ist nicht wirklich konsequent, im Grunde spielen wir auf Zeit in der Hoffnung, dass der Aufschwung schneller kommt und auch die Kommunen rascher davon profitieren. Denn das ist mit Einführung von NKF noch wichtiger geworden, da wir inzwischen perspektivisch in 4-Jahres-Zeiträumen denken und planen müssen. D.h. wir müssen unsere Hausaufgaben bis einschließlich 2013 machen.
An dieser Stelle driftet der Rheinberger Haushalt aber ins Hochspekulative ab. Ob die Grundstücksveräußerungen im Gewerbegebiet Alte Landstraße II tatsächlich ausgerechnet im Jahr 2012 rund 2 Mio Euro in unsere Kassen spülen, ist zum jetzigen Tag nichts als eine bunte Seifenblase. Und die Kalkulation der Verwaltung, eine Erhöhung der Kreisumlage müsse nicht zumindest provisorisch eingeplant werden, ist schon beinahe fahrlässig. Sicher, man kann versuchen, mit dem Prinzip Hoffnung auf Sicht zu fahren, auch wenn man eigentlich gar nichts sieht. Aber man drückt sich hier vor einigen unbequemen Konsequenzen und weicht damit auch den Handlungsdruck auf. Eine sehr zweischneidige Verfahrensweise.
Schauen wir uns doch den Haushalt unter dem Strich an: Die Ausgleichsrücklage ist aufgezehrt, die allgemeine Rücklage, die zur Deckung unseres Haushaltslochs herangezogen werden muss, ist schwindsüchtig: von gut 87 Mio Euro in 2010 würde sie sich auch bei der wohlmeinenden Auslegung der Kämmerei auf gut 71 Mio Euro in 2013 verringern.
Steigen wird auf der anderen Seite nach Berechnung der Kämmerei der Verschuldungsgrad mit einem zusätzlichen Kreditbedarf von gut 6,6 Mio Euro.
Mit anderen Worten: Wir leben von unserer Substanz und verschulden uns zugleich immer mehr.
Der Rheinberger Haushalt gewinnt so eine neue Dimension, seine Entwicklung ist ebenso besorgniserregend wie unwirklich. Durch seine vielen wenig greifbaren Ansätze verbleibt er in einer virtuellen Zahlenwelt, einer Art Beta-Stadium, damit wieder sehr ähnlich dem Web 2.0. Vielleicht wäre vor diesem Hintergrund statt einer AG Haushaltskonsolidierung ein HK-Chatroom angemessener.
Ein Wort noch zum Personaletat: Wir haben angeregt, den Einstellungsstopp für frei werdende Stellen zu revidieren, zum einen vor dem Hintergrund der Qualitätssicherung von städtischen Dienst- und Serviceleistungen, zum anderen auch vor dem Hintergrund der Förderung von Frauen.
Wenn wir uns die Führungsebenen der Rheinberger Verwaltung ansehen, sticht die eklatante Unterrepräsentierung von Frauen sofort ins Auge. Hier muss etwas geschehen, dringend! Einer unserer Vorschläge ist, die Situation der Verwaltung als quasi geschlossener Gesellschaft in Neubesetzungsverfahren aufzuheben und externe Ausschreibungen als Regel vorzusehen. Ob auch über den Weg des revidierten Einstellungsstopps et-was für Frauen zu erreichen wäre, müsste zumindest mal versucht werden.
Danken möchte ich abschließend dem Bürgermeister sowie dem Kämmerer und seinen MitarbeiterInnen, die immer bereit standen, um unsere Fragen zum Haushalt zu beantworten. Unser Wunsch zum nächsten Haushalt: weniger virtuelle Zahlenströme, mehr greifbare, transparente Haushaltsansätze klassischen Zuschnitts mit den entsprechenden Erläuterungen, auch wenn dies unmodern scheinen mag. Nicht alle haben sich schließlich so in die neue Finanzmaterie hineingefuchst wie Michael Kuklinski, dem ich, wenn es so etwas schon gäbe, gerne und in wirklicher Anerkennung den höchsten NKF-Orden, selbstverständlich am roten Bande, verleihen würde.